Prosa und Lyrik

Das literarische Werk Isolde Jurinas ist, von seinem Umfang her, leicht überschaubar. Es beschränkt sich im Wesentlichen auf die nachfolgend angeführten Prosatexte, Balladen und Gedichte. Eine Reihe der angeführten Gedichte wurden bei der Herstellung der Filme „Die Versuchung der Antonia“ (1978) und „Die Märchen vom Tode“ (1979) verwendet. Sie waren bei der inhaltlichen Gestaltung der Filme ein wichtiges Element.

Prosa

Auf der Suche nach dem kleinen Mädchen

Ich fange an, zu gehen, gehen im Rückwärtsgang. Am Hinterkopf beginnen mir Augen zu wachsen. Noch ist es schwierig, so zu gehen.

Ich ertaste mit meinen neuen Augen die Markierungen, die die blasse Frau an den Wänden hinterlassen hat. Vielerlei Zeichen sind es – schwer zu deuten. Was wollte sie wohl mit diesem durchbrochenen Kreiszeichen mitteilen?

Das Gehen verändert sich. Es wird leichter. Es hält die Mitte zwischen Eigenbewegung und Getragenwerden. Wie wenn man in strömenden Wassern ginge und von unsichtbaren Händen geleitet würde (nach rückwärts). SIE sind erstmalig deutlich für mich spürbar. SIE, die Riesinnen, meine Schwestern sind es, ich habe es geahnt.

Es geht weiter durch verschattete Gänge, verloren gewähnte Pfade und überall sind die Spuren, die mich zum kleine Mädchen hinführen wollen. Hier liegt die Trillerpfeife vom Brüderchen, dort ein Stück Gaze, apfelgrün und braunorange vom Ballkleid der Mama, ist an einem Mauerstück hängen geblieben. Ja, und da in einem Spalt liegt auch das geliebte Täschchen!

Damals nahm mich Mama wieder einmal mit zu ihren Besorgungen. Sie hatte sich ein Täschchen passend zu ihrem Brokatjäckchen – mit vier Maschen – gemacht und suchte nun dazu einen metallenen Taschenbügel. In einem einschlägigen Geschäft fanden wir ihn schließlich. Aus gelbem Metall, fein ziseliert, mit zwei mit blauen Steinen verzierten Knipsern. Mit diesem allerliebsten Bügel war das Täschchen komplett. Ich hatte es in mein Herz geschlossen.

Aber ich kann mich nicht aufhalten, ich muss weiter gehen. Da gibt es so viele Türen. Durch die muss ich hindurchgehen. Aber sie öffnen sich ja wie von selbst. Lautlos und sachte, sobald wir vor ihnen stehen. Noch eine Türe, wie viele noch? Ich gehe durch sie hindurch und bin jetzt in einem Raum von mittlerer Größe. Durch zwei Fenster fließt spärliches Licht. Ja, es sieht aus, als strömten leicht phosphoreszierende Wassermassen sachte am Fenster vorbei. Die Schattenhaftigkeit verdichtet sich allmählich und ich kann einen Schreibtisch ausnehmen. An dem Schreibtisch kniet eine Gestalt. Sie hat die Arme aufgestützt und ist mit etwas vor ihr liegendem beschäftigt.

 

Im Lande Schwarzundweiß

Das kleine Mädchen und Hündchen Bunt waren gerade um Haaresbreite dem Schicksal, vom schwarzen Ross gestellt zu werden, entronnen. Dieses hatte nämlich in seiner bekannt unberechenbaren Art eine lohnendere Beute erspäht: den weißen Läufer. Ihn hatte es mit einem Schlag seines linken Hufes ganz einfach so vom Platz geschleudert. Der weiße Läufer rollte noch ein bisschen und lag dann unbeweglich da.

„Schrecklich“, sagte das kleine Mädchen, dem es für eine Weile vor Angst die Sprache verschlagen hatte, „einfach so dazuliegen und sich nie mehr bewegen zu können!“

„Ja, ja“, stimmte Hündchen Bunt übereifrig zu, „einfach ein Jammer, aber kann man denn wirklich nichts mehr tun, damit es wieder hochkommt?“

„Aber du weißt doch“, sagte das kleine Mädchen gönnerhaft, „die Dunklen haben das ja so hingekriegt, dass wir das fressen, ihre Niedertracht, sie nennen es einfach Tot, hast du schon wieder auf die Spielregeln vergessen?“ In sein linkes Auge war das Hochmutsteufelchen hineingesprungen, das immer dann aufblitzte, wenn das kleine Mädchen zornig und sehr ungeduldig wurde. Betreten zog Hündchen Bunt sein Schwänzchen ein und schlug sich mit dem rechten Vorderpfötchen schuldbewusst an seinen Kopf.

Rasch wieder beruhigt, sagte das kleine Mädchen, um es zu trösten und abzulenken und auch damit es nicht wieder umstülpe, wo es doch nachher so schwer war, es wieder auf seine vier Beine zu stellen, die immer so leicht durcheinander gerieten: „Ich glaube, es wird jetzt einige Zeit Ruhe sein und wir können auf unserem Feld ein Stück weiter gehen, vielleicht gibt es auch etwas für dich zu essen, ja, ich denke sogar Fleisch“, fügte es listigerweise hinzu. Dieses Wort tat todsicher jedes Mal seine Wirkung, indem es Hündchen Bunt auch aus der schlechtesten Stimmung herausreißen konnte. Neu belebt, schnupperte es nach vorne, in die Richtung, die sie einschlagen mussten.

„Ja, ja, ich glaube, ich rieche schon was!“

„Und ich sehe etwas“, sagte das kleine Mädchen, verblüfft, dass seine leichtfertig getane Ankündigung so schnell Wirklichkeit wurde. Es scheint dies eines der behördlich oder vielleicht auch schwarz geführten Proviant-Häuschen zu sein. Da es rot angestrichen ist, muss es dort sogar Fleisch geben.

„Ja, ja“, bellte Hündchen Bunt ganz aufgekratzt, wir haben ja auch noch Fleischmarken. Machen wir einen kleinen Napf-Spurt?

„Nein, da fallen wir wieder auf, wie beim letzten Mal.“

Dass es sich nicht gar so viel aus Fleisch machte, verschwieg es. War ihm doch Brot sein Einundalles. Erstaunlicherweise hatte es immer eine Menge davon in seinem Schürzsäckchen und war auch häufig kauend anzutreffen. So näherten sie sich in nur leicht beschleunigtem Tempo ihrem angenehmen Ziele. Bald konnten sie ein Mädchen ausnehmen, welches mit heller Stimme seine Waren ausrief. – Dass ein weibliches Wesen dieses Geschäft betrieb, bedeutete, dass es schwarz geführt war, denn von der Behörde wurden nur Männer zugelassen.

„Au fein“, rief Hündchen Bunt, „in den Schwarzläden sind sie viel freundlicher und die Ware ist auch meistens besser“, fügte es superklug hinzu, obwohl ihm in dieser Hinsicht überhaupt kein Urteil zustand, denn in seiner Gier schlang es alles wahllos ohne Unterschied in sich hinein.

Das Mädchen, das sehr niedlich anzusehen war, hatte die Beiden auch schon längst erblickt, denn es konnte schärfer sehen als gewöhnliche Leute. Hatte es sich doch zwei kleine Gläser in die Augen gesetzt, die ihm nebenbei aber aller liebst zu Gesicht standen. Es grüßte freundlich, erkundigte sich nach der Lage draußen und wies dann auf seine Ware. Diese machte, wie das Mädchen selbst einen reizend appetitlichen Eindruck.

Die Fleischstücke waren nicht nur gewöhnlich in Portionen zerteilt, sondern in gefällig anmutende Formen geschnitten. Sie glichen etwas der Herzform, wie man sie auf Spielkarten sieht. Das kleine Mädchen, das auch gerne mit den Augen mitaß, war davon sehr eingenommen und dachte, dass die Auswahl schwer fallen würde.

„Was meinst du Hündchen Bunt?“ wendete es sich an seinen kleinen Partner, der seltsamerweise ganz verstummt war und auch das Schwänzchen verdächtigerweise nicht mehr vor freudiger Begierde herumtanzen ließ, wie noch eben vorher.

„Ja hilf mir doch, wir müssen uns ja für zwei Stücke entscheiden.“ „Du bekommst von meinem dann auch etwas ab“, fügte es großmütig hinzu.

Da es keine Antwort bekam und – spät aber doch – gewahr wurde, was für eine klägliche Gestalt es neben sich hatte, wurde es selber ganz verlegen und stotterte etwas von: „Ist ihm wohl etwas schlecht, na ja, die Nachwirkungen von der überstandenen Gefahr, wollen etwas austreten“, und zog Hündchen Bunt vom Stande weg.

Das niedliche Mädchen, welches übrigens Fleischerle heißen musste, weil es ein zierliches Täfelchen mit diesem Namen auf seinem Jäckchen trug, sagte mit leichtem Blitzen in seinen Gläsern, immer in seiner gefälligen Art verbleibend, dass es wirklich keine Eile hätte, was es selbst beträfe. Sie könnten auch ruhig später wieder kommen.

„Ja was hast du denn, potzsakerment“, schnauzte das kleine Mädchen das arme Hündchen an, „mir so eine Schande zu machen!!“

Mit vor Enttäuschung fast erstickter Stimme kam es heraus: „Ja hast du denn gar nicht gemerkt, dass das kein wirkliches Fleisch ist?“

Das kleine Mädchen stutzte. „Das darf doch nicht wahr sein“, murmelte es zu sich selbst. Dabei ging ihm ein Licht auf, warum es wohl selbst so lange gezögert hatte, eine Wahl zu treffen. Die Form war für ein richtiges Fleisch zu artig gewesen und auch diese Gleichmäßigkeit des rötlichen Farbtons erschien ihm jetzt verdächtig.

„Alles, alles künstlich“, stieß es erbittert hervor, „aus diesem Stoff gemacht, den die Dunklen eingeführt haben.“ Gerüchteweise hatte man davon ja schon reden gehört. Dieser Stoff war nicht nur geschmack- und geruchlos, er nahm außerdem noch Kraft weg, statt einen zu ernähren.

„Da gehen wir natürlich nicht mehr hin. Wir müssen wohl oder übel bis zum nächsten Stand durchhalten. Gut, dass wir nicht gleich drauf reingefallen sind. So haben wir doch noch die Fleischmarken“, versuchte das kleine Mädchen sich selbst und Hündchen Bunt zu trösten und ihm gut zuzureden. Aber damit kam es nicht weit. Mit Schrecken bemerkte es, dass es nur noch das rote Papier in der Hand hielt. Die Fleischmarken fehlten. Nur der obere Abschnitt, auf dem Name und Kennzeichen eingetragen waren, war noch da. Jetzt erinnerte es sich dunkel: etwas hat in der Hand von Fleischerle aufgeblitzt. Das muss wohl eine kleine Schere gewesen sein, mit der das niedliche Mädchen mit unglaublicher Behändigkeit die Marken abgeschnipselt hatte.

Fast weinend vor Wut und Aufregung dem Weinen nahe lief das kleine Mädchen in Richtung Kaufhäuschen, um dort seine Marken zurück zu verlangen. Aber da war kein Kauf-Häuschen mehr. Und natürlich auch kein Fleischerle. Und das kleine Mädchen hätte darüber den Verstand verlieren können, wenn ihm da nicht schnell Hündchen Bunt beigesprungen wäre.

„Schnell, kleines Mädchen, nimm eines von deinen Märchenblättern, da muss aufgemalt sein, was es mit diesem Fleischerle, das der Boden verschluckt hatte, auf sich hat.“

Das kleine Mädchen entnahm dem Stoß, den es immer mit sich schleppte, ein Märchenblatt. Und wirklich, das niedliche Fleischerle, wie es leibte und lebte war darauf unverwechselbar abgebildet. Das Mädchen sah das Blatt und zeigte es dem Hündchen. Und wie beide noch erstaunt draufschauen, verwandelt sich das niedliche Fleischerle in das höhnisch grinsende schwarze Ross. Und plötzlich war da auch eine Schrift zu lesen: Die Dunklen verstecken sich oft in den allerliebsten Gestalten, aber an der schundigen Ware, die sie euch anbieten, könnt ihr sie erkennen.

„Teuflisch“, sagte das kleine Mädchen, „wie man da aufpassen muss, in diesem Spiel kann man sich auf gar nichts verlassen.“ „Aber auf rein gar nichts“, fügte Hündchen Bunt hinzu.

Querflöte. Märchen und fantastische Erzählungen. Wiener Frauenverlag 1984
In der, im Wiener Frauenverlag 1984 erschienenen Anthologie „Querflöte. Märchen, phantastische Erzählungen“ wurde auch die Geschichte „Im Lande Schwarzundweiß“ abgedruckt. Der Umschlag wurde unter Verwendung des Bildes „Aber Großmutter, warum hast du so ein großes Horn auf der Stirn?“ von Isolde Jurina gestaltet.

 

Das kleine Mädchen mit den Streichhölzern

(frei nach Christian Andersen)

Es ist Heiliger Abend und ein eisiger Wind fegt durch die Gassen. Die Leute eilen heimwärts. Sie haben die Mützen tief über die Augen gezogen und die Krägen ihrer Mäntel über den Ohren hochgestellt.

So sehen und hören sie das kleine Mädchen nicht, welches da steht und Streichholzschachteln zum Kauf anbietet. Es wird schon finster. Das kleine Mädchen setzt sich in einer Häuserecke auf einen Schneehaufen. Nach Hause darf es nicht zurückkehren, denn es hat nicht einmal eine einzige Schachtel mit Streichhölzern verkauft. Die Eiskälte kriecht dem kleinen Mädchen von den Zehen bis hinauf unter den dünnen Rock und setzt sich vorläufig im Bauch des kleinen Mädchens fest.

Das kleine Mädchen versucht vergeblich, sich an den Flammen der Streichhölzer, die es nach und nach entzündet hat, zu wärmen. Am Ende sind beinahe alle Schachteln leer, und die abgebrannten Hölzchen liegen rundherum verstreut. Die Eiskälte macht schon Anstalten, vom Bauch des kleinen Mädchens weiter nach oben zu kriechen.

In den Häusern, hinter den erleuchteten Fenstern sitzen die Leute an ihren warmen Öfen und lassen es sich gut gehen. Sie haben den Weihnachtsbraten schon verzehrt. Sie essen nun von den Lebkuchen und schauen dabei in die stetig brennenden Kerzenflammen des Weihnachtsbaumes.

Dem kleinen Mädchen ist noch kälter geworden. Die kleinen Flämmchen der Streichhölzer haben ihm nur die Fingerspitzen schwarz gebrannt, ohne Wärme zu geben. Es hat seit der Früh noch nichts gegessen, und es ist mutterseelenallein.

Das kleine Mädchen hat noch 3 Hölzchen übrig, und es wünscht sich, dass die ihm helfen mögen. „Ach, hätte ich doch ein Stück Gänsebraten, wie letzte Weihnacht bei der Großmutter!“ ruft es und zündet das erste Hölzchen an. Da erscheint ihm in der Flamme ein gedeckter Tisch mit einer großen Schüssel darauf. Es will gerade hinlangen, als es gewahr wird, dass es sein eigener Kopf ist, der auf der Schüssel liegt, mit Petersilie und Zitronenscheiben angerichtet. Da schreit es: „Nein, bitte nicht!“ und zündet das zweite Streichholz an. Dabei wünscht es sich einen warmen Ofen, einen solchen, wie es ihn damals bei der Großmutter gab. In der Flamme erscheint ihm auch wirklich der gute alte Kachelofen, und es streckt die Hände nach ihm aus, um sie zu wärmen. Da fährt das kleine Mädchen mit einem Schrei zurück, denn die Eiskälte, die sich indes im Ofen versteckt hielt, hat zugeschnappt und mit ihren scharfen Zähnen dem kleinen Mädchen die Finger abgebissen. Weil es das letzte Streichhölzchen nun nicht mehr selber anzünden kann, ruft es in seiner großen Not: „Ach, bitte, lieber Gott, hol mich hinauf in den Himmel, zu meiner lieben Großmutter, hier unten kann ich ja doch nichts Gutes mehr bekommen!“

Sein Wünschen ist so stark, dass das letzte Streichholz sich von selbst entzündet und in einer roten Flamme brennt. Diese formt sich alsbald zu einer großen Kugel und fliegt in den schwarzen Nachthimmel hinauf. Das kleine Mädchen sieht ihr nach und glaubt schon, den lieben Gott darin zu erkennen. Da schnellt aus der Kugel ein riesiger, feuerroter Phallus. Gleichzeitig sind am Himmel viele blinkende Lichter aufgegangen. Das sind aber keine Sterne, sondern lauter vergoldete Vaginas, und in jeder von ihnen tanzt ein goldenes Lichtlein. Als das kleine Mädchen dessen gewahr wird, schreit es: „Das hat ja der Teufel gemacht!“ Es sieht noch, wie der Phallus blitzartig von einer Vagina in die andere schießt, da fallen dem kleinen Mädchen vor Entsetzen die Augen aus dem Kopf, und sein Herz steht still. Am nächsten Morgen finden die Leute das kleine Mädchen auf dem Schneehaufen sitzend, ganz zu Eis erstarrt. Nur die Augen, die in seinem Schoß liegen, sind noch warm und starren unverrückt in den grauen Winterhimmel.

(Aber vielleicht ist das kleine Mädchen gar nicht tot. Wenn ihm die Augen wieder in den Kopf zurückspringen und durch ihre Wärme die Eiskälte austreiben, steht es wieder auf, in seiner Schürze neue Streichhölzer, die es im strengen Winter versucht, den Leuten zu verkaufen).

Lyrik

Weihnachtstod

Aufs dem schwarzen Verschlag des Himmels
fällt giftiger Schnee.
Augen mit grauen Tüchern verhängt
Ohren abgedichtet mit Filz
Nasen versiegelt mit Staub.
Im Herzen ein zerrender Schmerz
dort wo der Angelhaken sitzt
Am silbernen Faden der Fee.
Tannennadeln von ihren Röcken
Silberstaub aus ihren Haaren
fällt auf die zerberstenden
Kapseln gekaperter Herzen.
Rotes Wachsblut auf Milchglasscheiben
Tausend und einer Kerze Schein
Überfällt meine Augen.
Unter dem Kinderbaum ist ein
Herz mir beschert, glatt, fest und rund.
Ich nehm´ es
Und es zerschlägt mir den Leib.

 

Die Riesin

In der sich verschattenden Kette der Urschwestern
seh ich nicht eine, die gewitzt ist, flink und leicht!
Im schweren Fleisch sind die schweren Zungen festgewachsen
Aus stumpfen Augen rinnt brütend der Schwere Sinn
mit der Kette beschwert bleibt der Fuß hart an der Erde.
Von dieser Weiberherde kann nur blinder Gehorsam kommen
– wie Schwaden von Stalldunst steigt er aus dem stickigen Pferch.
Keine kann´s geben, die blökt wieder die Striemen,
geschlagen von den Zuchtpeitschen der Treiber.
Aber eine gibt´s außerhalb der Erde
Die ist riesengroß und wild
Diese Ahnin
nicht Schelmin
noch Hexe
Eine Riesin ist sie –
reißende Wölfin
Sie springt in die Flüsse
im Aberdurst säuft sie ganze Seen
Sie läuft mit dem Wind und duldete keinen.
Sie erwürgte den Vater – zertrat den Bruder.
Dem liebsten riss sie das Herz aus dem Leib,
um zu sehen, ob es so groß sei wie ihres
Diese wüste Gesellin – obwohl oft schon gestorben
Konnt sie nicht sterben!
Von Mal zu Mal tat ihr Henkers Hand – die von
Vater Tod schrecklicheres an.
Da wuchs das Grauen ihr über den Leib
Und sie lief und lief, suchte und suchte ein Obdach
Da fand sie mich
Ich, gemacht aus dem gleichen Teig wie die dumpf gehorsamen Schwestern,
Wie sie in kleine Form getan,
Ich trag sie in mir, die wüste Gesellin
Sie krakeelt und zündelt in meinem Kopf,
Aus meinen Augen wirft sie Feuerstein auf alle.
Sie hält sich eklige Kröten,
die speicheln ihr Gift durch meinen Mund!
Denn sie hasst alle,
alle, die mit Teufel und Tod paktieren,
und alle paktieren sie!
Sie hält mich als Schatz und als Geisel,
sie peitscht mich zu Zonen, die ich nie erblicken darf,
sie hetzt mein Herz zu modernen Stößen
und schleudert mich in die Abstürze der Aberangst
und zuletzt drückt sie mir das Messer in die Hand!
Alle wussten es längst:
Seit jeher sahen sie das Brandzeichen der Riesin in meiner Stirn.
Und jetzt seh auch ich es:
ICH BIN SIE
Ich muss tun, was sie längst getan hat.

 

Vollmond

Wieder ist an der hinterhältigen Schwärze der Nacht
Das fahlsilbrige Siegel Selenes aufgehängt.
Da muß ich heraus aus meinem Gelaß, das mir
Hausherr Tod vermietet hat, da niemand mich nehmen wollte
auf dieser Welt.
Ich, der Leichnam krieche in das grindige Fell des Wolfes,
es ist gesträubt in uralter Erzgier.
Ich, das Tier, suche mit der stinkenden Schandschnauze
nach dem verfaulten Leben unter der Erde – den Trüffeln
der Verwesung, und fresse davon, fresse immer mehr und mehr.
Da, im rasenden Amok des Ekels erbrech´ ich das Erbgift,
das alles verseucht.
Da steh ich!
Statt des toten Mundes des Leichnams, des ekeligen Heulens
Des Tieres kommen mir die Worte: Ich lebe.

 

Bony Haarlos und Clyde Ohnezahn

Bony Haarlos zeigt schon jetzt die letzte Mode
Die tragen wir alle im Beinhaus
Ein Schädel dem anderen gleich
Ihr fehlt der Stolz, die Freude der Frau
Flechte, Lockenfell der Mantel des Haares
Auf dem öden Feld des nackten Schädels gedeiht ihr kein Halm
Clyde Ohnezahn hinter dem Felsen auf dem hohen Berg
Redet nicht
isst nicht
Weisen die anderen einander die Reihen blinkender Wahrhaftigkeit
Hält er über der Leere des Mundes die Lippen geschlossen
Weh, es fehlt das Werkzeug
Weh, es mangelt der Biss
Sie hörte von ihm und begann ihn zu suchen.
Ihr Kleid längst zerfetzt
Blutig die Spur ihrer Füße vermerkt auf der Karte der Welt
Fand sie ihn
Er erkannte sie
Er rief ihren Namen
Erstmals entblößt er den Grund seiner Ohnmacht
Sie weinten
Tränen fielen auf die Kahlheit ihres Kopfes
Und es wuchs ihr metallenes Haar zu Mantel und Helm
Ihre Tränen rannen ihm in den Mund
Da gebar die dunkle Höhle zwei Reihen blinkender Steine
Sie konnten nicht leben
Zu mühsam zum Suchen
Das Warten zu qualvoll
Sie fanden EINE Leiche
Auf der Bahre der Leib, unter metall’nem Mantel
War’s seiner? Ist’s ihrer?
Die Stummheit der Lippen versiegelt zwei Reihen blinkender Steine.

 

Der Empfang

Hochsommer-Zeit: Stumm-gellender Fanfarenton
vor dem in schimmernden Atlas genähten Blau des Festzeltes.
Da kommt sie, die Riesin, mit starr-strotzendem Lachen,
das wilde Haar stürzt ihr zu Boden
und spreitet sich zur Schleppe.
Da reiß ich mir die Herzkammer auf und biet´ ihr das
bräutliche Obdach,
da nehm´ ich frohlockend mein innerstes Blut
und kredenz´ ihr den Willkommenstrunk,
da fechs´ ich die Adernbündel und web´ ihr daraus das
Brauthemd aus rinnendem Mörderrot.

 

Bittlied

Oh schwarze Mutter Maria in Zell,
ich ruf´ Dich an mit Schmerzensgebell.
Vor Verzweiflung tät ich mit den Zähnen klappern.
als hätt´ ich die Not der schwarzen Blattern.
Da, sieh! Den Schleier, den aus Tränen ich tat weben,
den möcht´ ich Dir für´s Jesulein geben,
Dafür aber ich bitt´
nimm´ mich ins Glück
Deines dunklen Schoßes zurück!
Dort, in dem uralten Friedenshafen,
tät ich für immer in Dir schlafen.

 

Bruder Birnbaum

Sind alle gesund?
Ist keiner müde, krank und befallen?
So redet der Hüter und besieht deine Wunde.
Noch wär´ hier zu helfen
Durch Füllen und Siegeln einer bedrohlichen Höhlung.
Ich wollte es tun, Bruder Birnbaum
Doch stürzt mir der Arm
Tief ab in den Schacht der Versehrung
Und Hand um Hand voll brandigen Mehls
Schöpf´ ich aus deinem befallenen Leib, Bruder Birnbaum.
Auch meine Wunden sind kaum noch zu schließen.
Zu schwarz sind die Stollen, die Angst in mir grub.
Im Schürzsack die Schnur, die trag´ ich bei mir
Seit Muttel, die Kuppel, sie mir gab.
Säumig bisher, leg´ ich sie jetzt an.
Sie ist das Geschenk vom Schwarz-Freiersmann
Der drunt´ auf mich wartet.
Borge die Kraft, Bruder Birnbaum
Jetzt halte ich Hochzeit auf dir.
Ich tanze den wilden Zucketanz
Hoch in die Luft
Der Wind stößt mich hin und her.
Die Lipp´ schminkt sich blau
Und drunten steht er, mein Schwarz-Freiersmann
Und breitet die Arme nach mir.
Wie grauenvoll er blickt.
Oh Muttel, du hast nie gesprochen
Von den schwarzen Löchern in seinem Gesicht.

 

Für Frida Kahlo

Unser Himmel, eine eiserne Kuppel, unsere Haftzelle.
Du hast mit deiner Nägel Brennmesser durch harte Schwärze
einen Stollen gegraben.
Ein wenig mehr: strohalmbreit – dringt Licht zu uns nach UNTEN.
Heiß glühend, deine Finger, von dem Foltergriff deines Würge-Engels,
scharf zugeschliffen deine Nägel in den Blutwirbeln deiner
schreienden Schmerzen.
Du wagst viel.
Den schwarzen Turm: dein Unglück, vor dich hingesetzt
hebst du dir auf den Kopf.
Aufgewogen im Frauenhaar trägst du seine Last
auf deiner gebrechlichen Rückenspindel.
Du setzt als Hüterinnen des Geheimnisses deiner Gefährdung
die schwarzen Schwestern, deine Augenbögen ein.
Du wagst viel.
Glauben deine Freunde dich in Wirklichkeit auf der Calle mayor
zu sehen, tanzt du in Wahrheit unter der schwarzen Kuppel –
auf dem Hochseil den pas des deux, auf den hochgestreckten Armen
trägst du den schweren Mann.
Du wagst viel.
Doch aus deinem Leib wächst schon tausendfach Sehnsucht
eingebunden in tausend Schnüre, die wollen sich einhaken
in tausend andere Leben, um sie sich – hinaufnehmend – einzuverleiben
Du bist weiterhin OBEN
doch dein Leib ist schon überschwer von anderem Leben, das gierig
wuchernd sich ausbreitet nach UNTEN.
Da brichst du in der Mitte entzwei: Du fällst.
Am Boden liegend sind Wirklichkeit und Wahrheit zusammengefallen.
Du bist wieder eins, aber es nahm die all dein Blut um den Riß zu heilen.
Wir tragen dich auf hochgestreckten Händen: strohhalmbreit
Licht fällt herab von der Kuppel unserer Haftzelle.

 

Frau Holle

Unter deines Vaters Schreibtisch gab es eine enge Falltür, durch die führte
Ein Gang tief hinab ins Reich der Frau Holle.
Es hieß, wer vor ihr drei Wünsche täte, dem würden sie auch erfüllt.
Du Nimmersatt kanntest schon die drei Wünsche.
Du Nimmersatt wolltest groß-schön-reich sein.
Du Nimmersatt stopftest dir deinen Schürzsack voll mit Lebkuchen von Weihnacht
und stiegst hinab.
Als erstes begegnetest du dem Hündchen mit Augen so groß wie Vogelbeeren;
es saß vor seinem leeren Näpfchen und bettelte erwartungsvoll, als es deinen
Lebkuchen sah.
Meine Lebkuchen ess´ ich selber, sagtest du und gingst weiter. – Dann trafst du wieder das
Hündchen, aber jetzt war es schon Hund und hatte Augen so groß wie Teetassen und auch sein
Hunger war viel größer geworden.
Meine Lebkuchen ess´ ich selber und wieder gabst du ihm nichts.
Und zum dritten Mal trafst du Hündchen, aber jetzt war es schon Hund-Hund,
mit Augen so groß wie Kirchtürme, vor sich den leeren Napf, groß wie der
Schloßteich, und es sah dich an als wollt´ es dich fressen.
Meine Lebkuchen ess´ ich allein, schriest du und ranntest davon. Plötzlich
stand Frau Holle vor dir, riesengroß, mit Schuhen aus Eisen. Sie hob den Arm,
mächtig wie der Glockenschwengel der Pummerin und setzte dir eine Brille mitten
ins Gesicht. Hinter dem einen Glas sitzt Hündchen und du siehst die Welt
vogelbeerenklein. Hinter dem anderen hockt Hund-Hund und du siehst alles
kirchturmriesiggroß.
Die Brille ist dir im Gesicht eingewachsen und du läufst, Frau Holle zu suchen.
Sie allein kann sie dir wieder wegtun. Und du läufst und suchst und stößt und stolperst und du fällst
und stürzt und findest Frau Holle nie.

 

Hänsel und Gretel

Hänsel und Gretel liefen in den Wald
Es wurd´ bald finster und auch schon bitter kalt!
Daheim bei den Eltern ward ihnen bang
dort leb´n wir sicher gar nicht mehr lang!
Sie seh´n bald ein Häuschen, freundlich und klein
da schaut die Gretel gleich zum Fenster rein.
Dort drinnen sitzen grad´ Mann und Frau bei Tisch
und was sie essen ist wirklich gar nicht Fisch,
denn die sind die Kinderfresser und gar nicht fein
wer wird wohl bald ihre nächste Mahlzeit sein?

 

Bräutchen Immergrün

Oh Bräutchen warum scheint so grün dein Gesicht?
Das macht nur das modrige Gloselicht.
Doch meine Hoffnung ist grün
Und mein Bräutigam ist kühn!
Oh Schwarz-Schwarz Freiersmann.

Oh Bräutchen was trägst du gar
ein Kränzlein Wachs in deinem Haar.
Der Wachsblumen Treu und des Moder`s Glut
Die vertragen sich gut,
und mein Bräutigam hat Mut.
Oh Schwarz-Schwarz Freiersmann.
Oh Bräutchen was lächelst du gar so gluh?
Weil ich bald habe die große Ruh,
in meinem Gelass unterm grünen Gras.
Mein Bräutigam hat es mir aufgetan.
Oh Schwarz-schwarz Freiersmann.

 

Im Garten des Herbstes

Herbstlied

Die vier dunklen Schwestern des Herbstes laden mich ein, mit ihnen zu
spielen in den Gärten des herrscherlichen Bruders.
„Die goldgesprenkelten Blätter, die rotlasierten Früchte fügst Du
zu glühenden Bildern“ sagten die Schwestern „dann tanzt Du mit uns
zum späten Fest“.
„Wir schmücken Dich fein“ sagte die erste und drückte mir sorgsam ein
Kränzlein von Schlangen ins Haar. „Es kleidet Dich gut“ sagte sie,
derweil eine der Schlange mir schon am Kopfe fraß.
Die zweite der Schwestern nahm mich zärtlich beiseite und stahl sacht´
die Augen mir aus dem Gesicht und legte zwei Kiesel mir in
die leeren Höhlen.
„Damit Du die Bilder besser sehen kannst“ sagte sie.
Dann trat die dritte der Schwestern zu mir heran, in ihrem Ärmel barg sie
den jungen Marder, den setzt sie mir an das bloße Herz. „Unser scharfzähniger
Bruder, er trägt dafür Sorge, dass Du unser gedenkst“.
– Da verspürt ich die Letzte, kauernd vor mir am Boden. Mit einem Bund von Nesseln fesselt sie mir
die Füße: „Jetzt kannst Du nie mehr von mir fortgehen“

 

Der Besuch

Neulich stand eine freundliche Frau vor meiner Tür.
Sie habe gehört: Ich sei allein
Mir gehe es schlecht
Ich hätte Angst
Sie käme im Auftrag, mir zu helfen!
Ich ließ sie ein, ich hörte nicht zu, ich sagte nicht nein.
Sie bäckt und köchelt, sie strickt und häkelt,
sie putzt und poliert.
Sie bringt mir ein dickwollig‘ Schafkleid.
Sie habe es selbst gemacht, mir sei immer kalt, mich friere so sehr.
Ich zieh‘ es an und es schließt sich um meinen Leib in brennender
Kälte – starrschwer.
Jetzt weiß ich erst, was Frieren heißt.

Sie stellt vor mich hin Schüssel und Teller mit Suppe und Brei.
Sie habe es für mich gekocht, es werde mir schmecken.
Ich werde endlich satt sein, mich hung’re doch immer so sehr.
Ich esse und esse, ich kaue und schlucke und ein rasender Wolf
zerreißt mir die Eingeweide.
Jetzt weiß ich erst was Hunger ist.

Sie kommt mit Döschen und Spiegelchen, mit Schminke und Pinsel.
Ich sehe schlecht aus
Meine Augen blickten matt
Die Wangen seien bleich
Sie strichelt in meinem Gesicht und pinselt und wischt, beflissen und emsig. Ich seh‘ in den
Spiegel und erblicke mich, eine Maske, von Linien zerschürft.
Jetzt weiß ich erst, wie Angst tut. Ach nun begreif‘ ich auch: Die Madame ist eine Kupplerin.
Sie hat mich für den Freier bereitet.
(Draußen steht er schon, mit blankem Gerippe).

 

Die Schwestern

Die eine trägt die weiße Haut aus Seide.
Die andere ist aus gröberem Stoff gemacht.
Die eine ist in der Hut von Schlaf, gelabt von den
Schwestern.
Die andere, Tag um Tag von tötender Ohnmacht aufs
Bett geschlagen, bringt sich, von IHNEN aufgerufen,
in die Welt zurück.

Die eine, Kreis, in sich selbst sich bergend.
Die andere Pfeil-ohne-Ziel, gerichtet gegen Tod.
So ist der einen, wie der anderen Pein gleich
zugewogen auf der Waage.

Beide tragen alle Hoffnung auf UNMÖGLICHE Rettung
in ihren Herzen.
Einander umarmend, doch nichts bergend, sind die
beiden Seherin, Kundschafterin, Werkzeug zugleich.
Feuer, sich verbrennend, Wasser, sich vergießend,
sind die Zeichen ihres unstillbaren Hungers.
„Sag‘ Schwester: Labung durch Sonne?“ fragt die eine.
Ja, Schwester: „Kühlung durch Mond.“ antwortet die andere.
(12.7./26.10.81)

 

Jeden Tag – Jede Nacht

Um die Weichheit Deiner Haut beneide ich Dich, oh Bruder!
ICH, Deine Schwester, bin nicht aus weißer Seide gemacht!
Nein, ich beneide Dich nicht um das Weiß Deiner Haut, doch
um Schlaf, den geheimen Ort Deiner Labung beneide ich Dich!
Auch diese Vergünstigung wurde nicht gewährt – verpönt war
es, sich des Mittels der Milde zu bedienen — und so bin ICH
Ferne von Schlaf.
Was mich auf dem Lager festhält, Tag und Nacht, Nacht und Tag:
Nicht der Schlaf ist´s , sondern tötende Ohnmacht! Nur der
Ruf der den Plan verwaltenden Schwestern reißt mich wieder
ins Licht – kreißend bring´ ich mich in die Welt – die lichtlose.
Es ist die Eure.
Ich, Pfeil-ohne-Ziel bin Pein.
Gespannt im Kampf gegen Tod – Herrscherpopanz – Beweihräucherter
– gehöre ich nicht mir, noch weniger aber Euch!
Für die Fahrt angeheuert – – auf dem Schiff „Unmögliche Hoffnung“
seh´ ich einen Streifen Land am Horizont, es ist das
geboten-verbotene Land: ZUKUNFT.
Ich, oh verzeih mir´s, DU, oh nein Bruder, hast Befehl auf dem
Schiff, hast den Eid geleistet, die Grenze nicht zu übersetzen!
ACH, ließest DU als Einzigen mich hinüber! Verzehrte mich ja
schon ewiger Brandhunger nach dem Bilde meiner gbündelten Sehnsüchte! Nach IHR!
IHR, der mit tausend Flüchen Belegten,
IHR, der mit tausend Schleiern Verhüllten,
IHR, der von keinem Auge je Erblickten, der Weltjahre von uns Entfernten!
SIE = IHR Bild, unheilbar in das Auge gestochen, SIE WILL ICH!
Meine tausend Feuerherzen über die Grenze geschleudert, ihre
tausend Schleier in Flammenmeere getaucht, will ich
SIE – – mir vermählend, mit meinem Brandpfahl tief in die Zone
Ihres Geheimnisses vordringend –
SIE IN DER UMARMUNG WÄRMEN:
JEDEN TAG – JEDE NACHT.

 

Notizen im Zusammenhang mit dem Gedicht Jeden Tag – Jede Nacht

Motive-Sinn-Bilder
Tod für die männliche Herrschaft. Angemaßte Übergriffe. Nihil, die Männer haben ihn gemacht. Tod: Popanz, aus Schwärze des Nichts und dem Eis (eisiger) der Anmaßung. Nekrophilie.
Motiv: Freier Tod, Tanz mit dem Tod.
Sich ihm an den Hals werfen. – Dann der große Widersacher: Ihn stellen.
Motiv der Scheherezade (als kleines Mädchen) – gegen Gewalt die zarten Überredungen der Märchen.
Montag 16. Feber
In der Nacht von Sonntag auf heute mir das „Jeden Tag ein Märchen“, wie es wirklich war, so stark in meinem Kopf gearbeitet, sich genauer konturiert mit dem Schlussmotiv: einer visionären Sicht der immens großen Gestalt SIE, säulenhaft, Bewegung von Feuer, Wasser, Luft in Ihr. Zuletzt – meine Blicke wandern empor – sehe ich ihre Tausend Augen = meine Märchen: Nein es ist nicht ER, der Tod. SIE ist es! Schluss – rufen!!
Dienstag 17. März
So lange Zeit vergangen. Dazwischen totale Kraftentleerung mit jetzigem Höhepunkt nach 10 Tagen überrandvoller Geschehnissen. Gestern die 2. Eröffnung der ungeplanten. Das fast nur mehr Unglaubliche verwirklichen können: Von der passiven Erwartungshaltung mit daraus resultierendem Frust und Ekel die Offensive an mich gerissen und „attakiert“: Unruhe gestiftet. Gedanken zur Morgenandacht von Magister Sebastian Scharfritte (Salzburg). So viele Erschütterungen!! Die Feldpostbriefe von Pepi am Freitag!! – am Sonntag TV-Film „Das Frauenorchester Auschwitz“: „Um ein Leben singen!!“
Für diese grauenhaften (Wesen) Hüter an der 1. Schwelle 7 von den zarten Prinzessinnen, (weil?) alle die treuen Schwestern die guten.
Viele, viele Blätter brauch ich.
Kleines Mädchen, du! Warum hast du dich eingelassen mit all diesen Toten. Warum hast du sie gesehen, angehört ihre winselnden Bitten. – Ich schlepp sie jetzt mit auf diesem irrsäligen Weg. – wenn es ganz finster wird. Seine Nähe so fühlbar. Kriechen sie alle in meinem Kopf unter krakeelen (in ihrer unsterblichen Angst), in ihrer unsterblichen Sehnsucht nach dem verlorenen Gut! Ich soll den Wahnsinnigen Herrscher – Usurpator – (zur Rede) stellen. Mit diesem armseligen Bildchen!

 

Griechenlandimpression

Im bang dunklen Sinn von nichts zu suchen ging ich hin.
Dort wurde berieselt mein Bild mit Blüten zart und wild,
darauf wurde gelindert mein Sinn
Nach Minos – Kreti zog´s mich hin,
hinter jedem Strauch sah ich Röten (?) blitzen
die konnten mein Herz wieder erhitzen –
Für alle, die ein nicht zu großes WOLLEN
In sich tragen

Aufschreiben. Texte österreichischer Frauen. Wiener Frauenverlag. 1981.
In der, 1981 im Wiener Frauenverlag erschienenen Anthologie „Aufschreiben. Texte österreichischer Frauen“ sind drei Gedichte von Isolde Jurina abgedruckt.