Leintuchaktion 1979 – „Fetzenfutbilder“

Im Rahmen des Steirischen Herbstes 1979 wurde die sogenannte Leintuchaktion durchgeführt. Dazu wurden Künstlerinnen aufgefordert, für eine Ausstellung Leintücher zu gestalten. Der Beitrag von Isolde Jurina hatte den Titel „Die zerteilte Frau“. Die Frau geteilt in ein Modell de Luxe (mit smiling und Prachtbrust) und in das Gebrauchsmodell (mit Lockenwickler und wegoperierter Brust).

Die Einteilung, die Männer bei ihren Autos usw. treffen“, formuliert die Künstlerin, „machen sie auch bei ihren Frauen und Freundinnen: Herzeig- und Nutzmodell. – Zwei Frauenköpfe, zusammengeklebt aus lebensgroßen Kopffotos aus Illustrierten, mit richtigen Haaren ausgestattet, wachsen aus einem gemeinsamen Bauch heraus, in dem die ebenfalls gemeinsame Vagina eingebettet ist. . . . . Der von unten in Richtung Frauengeschlecht zielende Phallus trug die Beschriftung Die Kunst muss aus den Hoden kommen. . .

Nach zwei Tagen, alle Leintücher waren im Grazer Stadtpark der Öffentlichkeit zugänglich aufgehängt, war die „Zerteilte Frau“ zusammen mit einem anderen Leintuch mit weiblichen Körperabdrücken verschwunden. Ein zweites angefertigtes Exemplar der „Zerteilten Frau“, das in einer Ausstellung am Karlsplatz gezeigt wurde, wurde als so skandalös empfunden, dass es auf Veranlassung der damaligen Bezirksvorsteherin abgehängt wurde.

„Auf erboste Veranlassung Hertha Haiders, der Bezirksvorsteherin des vierten Bezirkes,“ schrieb damals Erwin Melchart, „wurde ein Leintuch von Isolde Jurina auf dem Karlsplatz abgehängt. Jetzt hängt dasselbe Leintuch in der Jurina-Ausstellung in der Schönlaterngasse, und man fragt sich: Was hat eigentlich Frau Haider gegen die Darstellung einer Frau in verschiedenen Alltagsrollen?“

Ein Kultumanager bezeichnete diese Exponate abfällig als „Fetzenfutbilder“. Isolde Jurina wählte diese Bezeichnung als Titel für einen Beitrag in der Wiener Frauenzeitschrift  AUF, (1981, Heft 28, S. 30) als Beispiel für jene männliche Überheblichkeit, wo statt einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit  den Aktionsbeiträgen der Frauen, durch eine pointiert abwertende Formulierung die ganze Aktion ins Lächerliche gezogen werden soll.

In dem Artikel berichtet die Künstlerin aus eigener Erfahrung unter anderem über die männliche Dominanz in der damaligen Kulturszene. 

„Fetzenfutbilder?“

Meine letzten Arbeiten, von der Technik her so genannte Materialbilder, von der Absicht her agitativ, wurde die Bezeichnung „Fetzenfutbilder“, wie ihr wohl richtig annehmen werdet, nicht von mir gegeben!

Volksmund, das heißt Männermund, das heißt Kulturmanagermund hat diesen Titel geschöpft. Nach dem Abklingen des ersten Schocks, wage ich es jetzt, diese Bezeichnung über meinen Bericht zu stellen. Dies hat sich im September ereignet, aber es gibt eine Vorgeschichte dazu und es ist mir wichtig, darüber zu reden.

Was wollen diese Bilder? Wieso bin ich dazu gekommen, sie zu machen. Was hat sich aus der Konfrontation der Arbeiten mit der Öffentlichkeit ergeben?

Ich muss dazu allerdings weiter ausholen. Das Thema Mensch, aber immer mehr das Thema Frau, war für mich schon vom Beginn meiner Arbeit an wichtig. In den vielen Märchenillustrationen, die im Alter von 8 bis 15 Jahren entstanden, waren schon immer die kleinen Mädchen, Hexen, Prinzessinnen die Zentralfiguren – eine kleine Gegenwelt zu dem Zwang in der Schule, dem Geschehen von Gewalt und Zerstörung in der Kriegszeit und der darauf folgenden Trümmerwelt.

Später dann, während der Akademiezeit bot es sich an, Frauen, bezeichnet als weiblicher Akt, immer wieder abzubilden: das hieß Studium nach der „Natur“. Diese Art Frauendarstellungen interessierten mich weniger. Die Wiedergabe des Körpers in einer gestellten Pose, ob realistisch oder abstrahierend, war unbefriedigend. Außerdem wurde man durch die männlichen Kollegen, mit ihrem Wesensspektrum an Arroganz, Selbstgewissheit und Großklotzigkeit, mit einer Prise von nützlichem Größenwahn (dieser dem Mann durch Jahrhunderte angezüchtete Bonus), leicht an die Wand gedrückt. Wir Frauen, mit unserer mehr oder weniger getarnten Unsicherheit, mit der fatalen Neigung zur Verzagtheit und unserer einprogrammierten Bereitschaft zum Nachgeben und zur Anpassung, konnten uns viel schwerer behaupten. Umso mehr, als in den „sleeping fifties“ noch keinerlei Solidarisierung in eigener Sache in Gang gesetzt war, und somit das männliche Bewusstsein noch kaum Kratzer aufwies.

(In dem Film, den ich dann 1979/80 zusammen mit Christine Leinfellner, Waltraud Skubic und Franz Xaver Schmid machte, und in dem wir im Gespräch mit 13 Künstlerinnen versucht haben, deren Lebenssituation aufzuzeigen, wurden diese „weiblichen“ Eigenschaften immer wieder einbekannt und sie haben wohl zusammen mit familiärem Belastungsdruck den LÄNGEREN WEG verursacht: die verzögerte und geringere Effizienz ihrer Arbeit in Kunstszene und Öffentlichkeit).

Wichtige Arbeitsthemen fand ich erst nach der Akademiezeit: Der Versuch einer Personifizierung psychopathologischer Zustände durch das Medium Frauenköpfe in Überlebensgröße. Die BÖSEN MÄRCHEN: die Aufzeigung der Grundmuster von der archaischen Grausamkeit unserer Zivilisation. Hänsel und Gretel, aufgetischt auf der Tafel von Herrn und Frau Menschenfresser, die Konsumgesellschaft frisst ihre Kinder und somit ihre Zukunft auf.

In der Serie AUS KINDHEITSLAND – BROKEN HOME schaufelte ich die Schichten weg, die die Fixierungen und Versehrungen der Kindheit zugedeckt hielten. Um zu einer weiteren Entwicklung zu kommen, musste ich zwangsläufig die Ängste und schmerzhaften Bindungen bloßlegen, und gleichzeitig den Ursachen ihres Entstehens nachgehen. Nach Fotos aus dem Familienalbum zeichnend, die Bildfläche in ein oberes Bild der Wirklichkeit, sowie in ein Unteres, das des Unbewussten geteilt, versuchte ich, traumatische Ängste zu bannen. Ich tat weniger Seelen- und Trauerarbeit als Bewusstseinsarbeit. Danach war ich völlig ausgepumpt und in dem darauf folgenden Zustand der Leere, die zu lebensbedrohlicher Verstörung  anwuchs, traf ich auf alte Bücher, die so genannten „Alben für die höheren Töchter“ aus der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Durch die darin enthaltenen Illustrationen fand ich Eingang in das Gehege einer idyllischen Scheinwelt, in diese, vom Patriarchat für seine Frauen und Töchter errichteten Luxusgefängnisse. Während die Männer in Politik und Wirtschaft ihre Geschäfte betrieben, waren ihre Frauen und Töchter auf das Tätigkeitsfeld von weiblicher Handarbeit, dilettieren in Kunst, sowie wohldosierter Alibi-Karitativtätigkeit verwiesen, und damit geflissentlich vom Erkennen des AUF-KOSTEN-DER-UNTEREN-LEBEN ferngehalten. OBEN NÄHKRÄNZCHEN – UNTEN ARBEITSHAUS. („Aber auch die falschen Gefühle dieser höheren Töchter haben Geschichte gemacht“ schreibt Marie Luise Könnecker in ihrem Buch „Mädchenjahre“ und weiter: „Eine Archäologie gegenwärtiger Weiblichkeit hätte zunächst die umfangreichen Bewusstseinsreste des späten 19. Jahrhunderts abzutragen, das durch Kriege hindurch bis heute Denken und Handeln mitbestimmte.“). Im „ABC“ zur Heranbildung „höherer Töchter“ sperrte ich „buchstäblich“ die lieblich-ahnungslose Frauenwelt in das jeweilige Feld eines Buchstabens, der aus Illustrierten geklebt, die männliche Welt samt ihren Machtsignalen und Statussymbolen repräsentiert. Trotz dieser Bewusstseins-Erweiterung war ich noch immer nicht auf dem richtigen Dampfer. Diese Bilder, stilisiert und symbolisch überhöht, entsprachen in ihrer komplizierten Ästhetik zu wenig meinem Bedürfnis nach Appell, nach  agitativer Wirksamkeit!

Lange wollte ich mich schon einer Frauengruppe anschließen. Im Frühjahr 1979 überwand ich meine Scheu und trat der Intakt bei. Die Aufforderung, bei der so genannten Leintuchaktion in Graz im Rahmen des Steirischen Herbstes mit dem Thema „Kunst und Öffentlichkeit“ mitzutun, war dann das CHALLENGE und es gelang mir jetzt erst der Ausbruch aus dem Ghetto meines Ich´s : ein existenzieller Knall war passiert.

Ich verfertigte auf meinem Leintuch das erste dieser neuen Bilder: „DIE ZERTEILTE FRAU“ – Untertitel: Frauen wehrt euch! Geteilt in ein Modell de Luxe (mit smiling und Prachtbrust) und in das Gebrauchsmodell (mit Lockenwickler und wegoperierter Brust). Die Einteilung, die Männer bei ihren Autos usw. treffen, machen sie auch bei ihren Frauen und Freundinnen: Herzeig- oder Nutzmodell. Zwei Frauenköpfe, zusammengeklebt aus lebensgroßen Kopffotos aus Illustrierten, mit richtigen Haaren ausgestattet, wachsen aus einem gemeinsamen Bauch heraus, in dem die ebenfalls gemeinsame Vagina eingebettet ist. (Diese war nicht naturalistisch sondern aus andersartigen Abbildungen übersetzt dargestellt, aber durch die Umrahmung von Haar von verblüffender Wirkung). Der von unten in Richtung Frauengeschlecht zielende Phallus trug die Beschriftung „Die Kunst muss aus den Hoden kommen„. Es gab noch andere agitative Sätze. Nach zwei Tagen, alle Leintücher waren frei im Grazer Stadtpark der Öffentlichkeit zugänglich aufgehängt, war die zerteilte Frau zusammen mit einem anderen Leintuch mit weiblichen Körperabdrücken verschwunden. Wir verfassten daraufhin spontan eine Mischung von Such- und Traueranzeige für unsere gekidnappten Frauenbilder, welche in der dortigen Presse erschien. Das erste dieser Bilder war nun fort, aber ich plante trotz Angst vor meiner Courage, solche radikalen Darstellungen weiter zutreiben. Noch nie war mit ein Arbeitsvorgang mit solcher Spontaneität von Händen gegangen. Wohl arbeitete ich dazwischen wieder an einer Serie „MÄRCHEN VOM TODE (zu der auch ein Film entstand), da mir das bedrohende Thema von Existenz- und Todesangst  wieder nahe gerückt war. Ich befand mich auf einem Ego-Trip in die Katakombe der Urängste. Eine Christbaumaktion, veranstaltet vom Wiener Künstlerhaus, in der Mitglieder einen Baum gestalten durften oder sollten, war der Anstoß, in Form einer weiblichen Gestalt den Protest einzubringen gegen unser vor die Hunde gegangenes „frommes“ Fest, in dem der Riss zwischen SAGEN und TUN besonders exemplarisch klafft und wo, bedingt durch die Ausschließung derer, die unsere Gesellschaft für UNTAUGLICH erklärt hat, die höchste Selbstmordrate entstand. Ich hängte eine überlebensgroße Frauengestalt aus Karton (wieder collagiert, mit Kopf- und Schamhaar) mit zusammen gebundenen Händen auf den Baum unserer verratenen Kindheit. Oben war ein Zettel, ähnlich einem Meldezettel, mit den Anmerkungen:

NAME: WEIHNACHTSFEE
GESCHLECHT: WEIBLICH
KENNZEICHEN: WIRD VON UNS MISSBRAUCHT, KOMMT ALLE JAHRE WIEDER!

Die Reaktionen waren im Kollegenkreis zwischen männlich und weiblich verschieden. Die Kolleginnen: „Du traust dich wenigstens was! So was  ist wichtig! Klass!“. Die männlichen Reaktionen gingen vom betretenen oder missbilligendem Schweigen bis zu dem Prachtkommentar: „Was musst Du aber frustriert sein als Frau“ aus dem Mund eines unserer Kulturbosse. Dass dieser Weihnachtsbaum samt der Weihnachtsfee als LEIDENSFRAU, die in  ihrer anklagend pathetischen Geste, in ihrer Preisgegebenheit auch wieder schön, das heißt anrührend da hing, keinen der aus Wirtschaft und Geschäft aufgebrachten Sponsoren fand, war wohl logisch! Die Melange aus Falschheit & Feigheit, bei uns so beliebt, schließt den Geschmack an Courage aus. Der Baum verlor seine Nadeln, er wanderte daher in den Müll, aber meine Fee gleich mit. Vom unbekannten Täter, jedenfalls männlichen Geschlechts, weggeworfen!

Brechen sie damit nicht den Weihnachtsfrieden?„, fragte ein ORF-Reporter. Also Friedensbruch, aggressive Zerstörung tradierter Bilder, Exhibitionismus oder bloßer Propagandagag. Hier eine Antwort:

Es gibt in unseren vom christlich-abendländischen Denken geprägten Grundmustern bestimmte Leitbilder und Symbole. Es gibt den Schmerzensmann, sein Urbild ist Jesus, am Kreuz gestorben. Ich kenne keine Darstellung ohne ein, das Geschlecht verhüllende Lendentuch. Insoweit ist es durchaus stimmig, denn er wurde nicht wegen seines Geschlechtes verfolgt und gepeinigt. Bei der Frau hingegen verhält es sich anders. Die Unzahl anonymer Frauen, ausgebeutet, benutzt, vergewaltigt, unterdrückt aufgrund ihres Geschlechtes, das ihnen im Zuge des sich vor Jahrhunderten formierten Patriarchates enteignet worden war und welches wir wieder in unseren Besitz zurückbringen müssen. Deshalb, im Zuge unseres gemeinsamen Unternehmens, war es für mich im Hinblick auf Ehrlichkeit, das heißt Stimmigkeit, nicht zu umgehen, das Geschlecht darzustellen. Es muss der grundlegende Unterschied gesehen werden zu den Motiven, die einer Darstellung des weiblichen Geschlechtes von männlicher Seite her gesehen werden.

Isolde Jurina

Isolde Jurina bei der Vorbereitung der Aktion
Isolde Jurina bei der Vorbereitung der Aktion