Die Collage bedeutet für die Künstlerin die adäquate bildnerische Möglichkeit. Ihre Collagetechnik hat sich durch die verschiedenen Schaffensperioden hindurch erkennbar gewandelt. Die frühen Collagen waren noch splittrig in Prismen aufgeteilt, wobei die Farbe nur gelegentlich einmal zur stärkeren Geltung kam. Es gab beispielsweise weniger Rot als rötliche Zonen und viel gebrochenes Weiß. Ein verästeltes Netz von Beziehungen durchzog und verspannte die ganze Fläche. Ein Zug von Verwesung, von Entrücktheit ins längst Vergangene und nun plötzlich wieder Aufgetauchte war gegenwärtig.
In späteren Serien zeigt sich diese Zersplitterung überwunden. Es treten starke und tiefe Farben auf, ein dunkles Grün, ein leuchtendes Gelb, ein flammendes Rot, ein tiefes Blau. Die Farben werden Flächen überlassen. Sie haben eine Bleibe, einen Aufenthalt und werden nicht mehr in ein Gespinst gespannt (Zyklus „Weltkörper und Himmelsauge“, 1962-1964). Die Collage endet dabei immer in einem malerischen Bild.
In den letzten Serien, den großen Pastelltafeln („Böse Märchen“, „Aus Kindheitsland“ etc.) und den Pastellcollagen auf Karton („Aus Kindheitsland“ etc.) wird die Farbigkeit durch den Einsatz von Collage-Elementen und Ölkreide erreicht. Es wird versucht die Farbelemente im Bild zu verbinden, sie sozusagen zu „amalgamieren“. So dass trotz des Einsatzes von Collageteilen so etwas wie ein einheitlicher Farbkörper entsteht. Charakteristisch ist ein nervöses, vibrierendes Überschichten von Farbe, die konzentriert und kompakt wirkt. Die figürlichen Darstellungen in den Bildern sind in die Komposition fest eingebunden. Es ist eine Komposition, die malerische und graphische Elemente verbinden. Am ehesten vielleicht als eine Art „Expressionistik“ zu bezeichnen.
Seidenpapiercollagen, 1957
1957 entsteht eine Serie von Collagen mit farbigem Seidenpapier.
Psychopathologische Ausdrucksköpfe, 1977/78
In den Siebzigerjahren schuf die Künstlerin eine Serie von großen Frauenköpfen, in denen versucht wird, psychische Grenzsituationen ins Bildnerische umzusetzen.
Zyklus „Weltkörper und Himmelsauge“, 1962-64
Collagen mit starken, flächig aufgetragenen Farben. Sie enden immer in einem malerischen Bild, an dem das Collagenartige nur beim genauen Hinsehen erkennbar wird. Titel wie „Weltkörper“, „Himmelsauge“, „Brunnentiefe“, „Nachtuhr“, „Explosion im All“, „Dunkler Frühling“ u.a. verweisen auf die inhaltliche Intention der Künstlerin bei der Herstellung dieser Serie.
Schwarzweiß-Collagen, 1975
Mitte der Siebzigerjahre entstand eine Serie kritischer Schwarzweiß-Collagen aus der Kombination von schwarzem Papier mit weißer Kreide.
„Böse Märchen“, 1973
Große Pastelltafeln auf Spanplatte
Dieser Zyklus stellt einen Anknüpfungspunkt zu den frühen Märchenbildern der Künstlerin dar, an denen das kleine Mädchen neben ihrer Schulzeit fast täglich gearbeitet hat. Diese streng stilisierten, durch ihre Ornamentik hermetisch abgeschlossenen Zeichnungen, denen die sonst Kindern eigene Spontaneität und Vitalität fehlt, werden nun durch großformatige Bilder in der sehr expressiven Technik der Collage abgelöst, die eine andere Sicht der Märchen darstellen, denn die Zeit seit den schönen Kindermärchen hat sich verändert. Es ist alles böse geworden, grotesk böse und die dämonischen Grundmuster sind zutage getreten und werden in Bezug zur Gegenwart gesetzt. Hänsel und Gretel werden nicht mehr von der Hexe bedroht, sondern Herr und Frau Menschenfresser verschlingen sie – die Konsumgesellschaft gibt in ihrem bloß materiell orientierten Hiersein ihre Zukunft, die Kinder preis. Den Aspekt des Bösen im Volksmärchen sieht die Künstlerin sozusagen als „Archetypen des Bösen“. Im Gespräch weist sie darauf hin, dass das Böse im Märchen immer schon latent vorhanden ist. Und weil die Märchen immer auch sehr menschliche Themen berühren, berichten sie auch von den nächtlichen Seiten der menschlichen Existenz. Die drohende Farbigkeit der Bilder, dieser „Märchen als Greuelgroteske“ deutet dieses Böse an. Unter den „Archetypen des Bösen“ erscheint das Prinzesslein, das die Freier totschlägt, das Rumpelstilzchen, das so bös ist, dass es sich selbst zerreißt, Rapunzel, der auf den Zöpfen seiner Angebeteten hochklettert und sich dabei selbst erwürgt usw.
„Aus Kindheitsland“, 1975
Pastellcollagen auf Karton
Diese Arbeiten entstanden nach Fotos aus dem Familienalbum und sind zuvorderst Darstellungen der äußeren Lebenssituation des Kindes, seine Beziehungen zu den Eltern, zum Brüderlein, zu den Freundinnen und Verwandten; hintergründig zeigen sie die daraus resultierenden Ängste und Bedrohungen. Motive, die in früheren Schaffensphasen Isolde Jurinas gleichsam intoniert waren, gewinnen nun verstärkte Klangfarbe. Vor allem gilt dies für das Motiv von der Brüchigkeit des Seelenlebens. Die Expedition nach dem Kindheitsland ist der Versuch, den eigenen Spuren nachzugehen und sie zu sichern in ihrem Einfluss, der zu ihrer Verletzlichkeit, ihrer Versehrtheit und ihrem Gefühl des Ausgesetztseins geführt hat. Hier wird rückblickend von jetzt, von dem Punkt aus, auf dem die Künstlerin heute steht, die Brüchigkeit dieser Welt, ihr absurder Kontrast zwischen Sein und Schein diagnostiziert. Es ist die Darstellung eines „broken home“, eine zerbrechende Welt, in düsteren Farben, ohne einen Funken Licht, oft geteilt in eine Ober- und eine Unterwelt. Diese Erfahrung der gesellschaftlichen Realitäten eines bürgerlichen Familienlebens wird von Isolde Jurina in der Komprimierung der eigenen Familienstruktur unmittelbar erfassbar gemacht. Siehe auch: Jurina. Ein Film von Franz Xaver Schmid.
„Buchstabe- und Ziffernbilder oder Leitfaden zur Heranbildung höherer Töchter“, 1978
Pastellcollagen auf Karton
In diesem Zyklus verdichtet sich der inhaltliche Aspekt der Familienbilder zur gesamtgesellschaftlichen Komponente, zur Ideologie des Bürgertums. Inspiriert wurden diese Bilder von den Trivialillustrationen aus den diversen Alben, die „zur Bildung des Verstandes und des Gemütes der heranwachsenden weiblichen Jugend“ dienten. Es ist dies eine Welt, in der auf Grund von Besitz- und Bildungsprivilegien eine behütete Scheinwelt, die Idylle eines Glashauses aufgebaut werden konnte. In diesem „goldenen“ Käfig, worin sie durch ein bequemes, privilegiertes Leben gelockt wurden, lebt die Frau als Luxusgeschöpf und Statussymbol des Mannes. Daher war es auch der Mann, der für sie im Lebenskampf stand und das dafür notwendige Einkommen eroberte, der ihr strenges Rollenverhalten einer bürgerlich-kultivierten Lebenssitte aufzwang. Von der rauhen Wirklichkeit abgedichtet, gedieh außer verschiedenen netten Kunstdilettantismen zwar noch ein bisschen caritatives Wirken, doch hat man in dieser indolenten Ahnungslosigkeit kein Verständnis für das Schicksal der „Unteren“ und nimmt das Elend der sogenannten Abgehängten und die Gewalt der Unterdrückung als selbstverständlich an, zumal sie ja die eigene Welt stabilisierten. So kontrastiert in den Buchstabenbildern die rührende Anmut und die verdummende Harmlosigkeit der zarten und behüteten Mädchenwelt des Bürgertums mit der Gewaltwelt des Mannes und den Insignien seines Machtanspruches (Sexual-, Waffen- und Technikteile werden in collagierter Form eingebracht).